Die NationalsozialistInnen überzogen das deutsche Reich und die von ihnen besetzten Staaten mit einem dichten Netz aus Konzentrationslagern, zu denen jeweils auch eine große Anzahl von Außen- und Arbeitslagern zählte. In Sachsen gab es 61 Außenlager, die zu den drei großen Konzentrationslagern Buchenwald, Flossenbürg und Groß-Rosen gehörten. Die meisten dieser Außenlager wurden in Sachsen errichtet, als bereits begonnen wurde, die Konzentrationslager in den von Deutschand besetzten Gebieten aufzulösen – also zwischen Herbst 1944 und Mai 1945. In der Sächsischen Schweiz existierten drei Außenlager: in Königstein, Porschdorf und Pirna/Mockethal-Zatzschke.
Unter der Tarnbezeichnung »Dachs VII« sollte in Pirna eine unterirdische Produktionsanlage zur Treibstoff-gewinnung entstehen. Dazu wurde am 10. Januar 1945 ein Außenlager errichtet, das zum Konzentrationslager Flossenbürg in Bayern gehörte. Es befand sich in einer ehemaligen Kiesgrube bei Zatzschke, an der Straße von Pirna nach Lohmen, in der Nähe des damaligen Gasthofs »Weiße Taube«.
Anfangs waren im Lager etwa 100 Häftlinge interniert. Unter den Häftlingen waren im Gegensatz zu Königstein und Porschdorf auch eine größere Anzahl polnischer Jüdinnen*Juden, aber auch Italiener*innen, Russ*innen und Angehörige neun weiterer Nationalitäten. Die Zusammensetzung der KZ-Häftlinge ist mit den Wirren der letzten Kriegsmonate zu erklären. So wurde ein Teil gezielt geholt, um das Lager aufzubauen und Zwangsarbeit zu leisten. Andere wurden beispielsweise zeitweise nach den Luftangriffen auf Dresden im Februar 1945 im Lager untergebracht, da die Arbeitsstätten verschiedener Dresdner Außenkommandos zerstört worden waren. Für wieder andere Häftlinge war das Außenlager Mockethal/Zatzschke eine Zwischenstation zu anderen Lagern oder während der Todesmärsche.
Nach Aussagen von Häftlingen waren zwei Baracken im Lager schon zu Beginn fertiggestellt, eine für die Gefangenen, eine für die Wachmannschaften. Über den Aufbau des Unterkunftslagers berichtet der ehe-malige Häftling Paul K.:
»Ich kam mit einer Vorhut von etwa 60 Häftlingen nach Pirna. Wir sollten ein Barackenlager für etwa 2000 Häftlinge errichten. Als wir ankamen, war bereits eine behelfsmäßige Baracke für uns vorhanden. [...] Als wir mit den Arbeiten begannen, lag noch Schnee. Die Häftlinge, für die das Lager vorgesehen war, sollten im Elbsandsteingebirge arbeiten. Dort waren Stollen, in denen Fabriken untergebracht waren, die weitere Leute brauchten.«1
Ursprünglich sollte ein Lager für 2.000 Häftlinge entstehen. Vier bis fünf Baracken wurden noch vor Kriegs-ende fertiggestellt, umgeben mit Stacheldrahtzaun.
Über die Arbeitsbedingungen im Steinbruch meint der ehemalige italienische Häftling Sergio R. folgendes:
»Es ist mir bekannt, daß die Arbeitsbedingungen in jenem Steinbruch, wo Stollen in den Felsen gegraben wurden für den Bau von Treibstofflagern, wie es hieß, furchtbar waren, und daß die Gefangenen, die aus Schwäche nicht mehr arbeiten konnten, mit Schlägen getötet wurden. Solche Vorfälle haben sich sicher auch ereignet auf der Strecke zwischen dem Lager und dem Steinbruch selbst. Andererseits kann ich sagen, daß die Tötung von Gefangenen, die nicht mehr arbeits- oder gehfähig waren, die Regel war. Ich selbst habe die Tötung miterlebt zweier meiner Kameraden, die durch Unterernährung völlig entkräftet waren, ein gewisser Andrea Cerlin und Not, beide aus Görz. Beide wurden durch Hiebe mit einer Spitz-hacke getötet.«2
Über die Bedingungen im Lager berichten Anneliese Mietke, Mathilde Grascha und Hedwig Köhler. Die drei Frauen kamen aus dem Außenlager »Universelle« nach den Luftangriffen im Februar 1945 auf Dresden und waren zwischenzeitlich in Mockethal/Zatzschke interniert. In ihrem Bericht heißt es:
»Als Essen bekamen wir Kartoffeln mit Schalen in Wasser gekochte Suppe und zwar am Tage V Liter, abends bekamen wir 150g Brot. Wäsche erhielten wir auch nicht zum Wechseln. Wir waren gezwungen, ständig in unseren Kleidern zu bleiben .... Es war ein Bild des Grauens, die abgemagerten Menschen und kranken Menschen am Boden liegen zu sehen. Oft kamen wir tagelang nicht ins Freie und dann nur auf einige Minuten. Hier wurden wir von Aufseherinnen, die alle mit Knüppeln versehen waren, bewacht. Wir mußten ohne jegliche Kopfbedeckung im Kreis herumlaufen. Dies war für uns besonderes hart, da man uns, als wir nach Dresden auf Transport kamen, sämtliche Haare abgeschnitten hatte und zwar ganz kahl. Dies tat man deshalb, damit wir bei einem evtl. Flucht-versuch leicht erkennbar waren ... Infolge der schlechten Ernährung und Fehlen von Medikamenten erkrankten viele Häftlinge und starben täglich mehrere. Sie wurden einfach jeder Kleidung entblößt, vor das Fenster der Baracke gelegt und blieben dort tagelang liegen, bis wieder einige hinzukamen. Dann wurden sie zur Beisetzung nach Loh-men geschafft, Leiche über Leiche gelegt. Zuletzt gab man sich gar nicht mal diese Mühe, sondern legte sie einfach hinter das inzwischen provisorisch erbaute Klosett, wo sie nach Tagen im Freien verbrannt oder im angrenzenden Busch verscharrt wurden. Besonders hart wurden auch die Juden behandelt. Man schlug wahllos mit Knüppeln auf sie ein, ohne Rücksicht auf Kranke und Kinder. Die Männer mußten im Steinbruch arbeiten.«3
Am 16. April 1945 wurde begonnen, das Lager zu räumen. Auch mit Beginn der Evakuierung und auf den Todesmärschen wurden Häftlinge ermordet, worüber beispielsweise der ehemalige Häftling Sergio R. be-richtet:
»Am Morgen der Evakuierung aus dem Lager wurden 7 Frauen getötet. Diese Frauen gehörten zu einer Gruppe von 110 bis 130, vorwiegend Jüdinnen, die am Abend zuvor im Lager angekommen waren und bereits Hunderte von Kilometern zuvor zurückgelegt hatten; ich weiß nicht, woher sie kamen. Die Frau-en verbrachten die Nacht im Lager, und am folgenden Morgen wurden diejenigen, die nicht mehr gehen konnten, zu den Latrinen geschleppt und von den Posten getötet, [...]. Ich selbst habe gesehen, wie die Frauen mit Schüssen, die auf kürzeste Entfernung in den Unterleib abgefeuert wurden, getötet wurden.«4
Die Häftlinge, die körperlich noch in der Lage waren, wurden im Fußmarsch nach Leitmeritz (Litoměřice im heutigen Tschechien) getrieben – also etwa 90 Kilometer entfernt, wo einige Häftlinge noch bis zur dortigen Arbeitseinstellung arbeiten mussten. Die Kranken dagegen, die nicht am 16. April evakuiert werden konnten, wurden am 24. April 1945 auf Elbkähne verladen und mit schon darauf befindlichen Häftlingen anderer La-ger elbaufwärts gefahren. Sergio R. sagt darüber:
»Viele Gefangene wurden auf ein Schiff auf der Elbe verbracht, um die Sicherheit zu haben, daß sie nicht flohen. Auf das Schiff kamen sehr viele Gefangene unter unmenschlichen Bedingungen, einer neben den anderen ohne irgendwelche Hygiene, und sie erfuhren Mißhandlungen. Wegen dieser Bedingungen, wegen der Entkräftung starben sehr viele Häftlinge.«5
Anfang Mai flüchtete die SS-Bewachung vom Schiff und überließ die Häftlinge sich selbst. Sowjetische Trup-pen und tschechische Behörden leiteten dann Rettungsmaßnahmen ein.
Am 13. April 1945 sind 131 Häftlinge in Mockethal registriert. 13 Tote sind vermerkt, Zeug*innenaussagen sprechen jedoch von mindestens 53 Toten. 47 tote Häftlinge wurden in Lohmen beigesetzt, sieben Häftlinge auf dem Friedhof in Pirna.
Die Verantwortlichen und Leiter des Lagers wurden nie juristisch zur Rechenschaft gezogen.6
Quellen:
Eingangszitat: Hugo Jensch: Der Kreis Pirna im Zweiten Weltkieg, S. 33
1 Hugo Jensch: Der Kreis Pirna im Zweiten Weltkieg, S. 32
2 Hugo Jensch: Der Kreis Pirna im Zweiten Weltkieg, S. 33
3 Hugo Jensch: Der Kreis Pirna im Zweiten Weltkieg, S. 33
4 Hugo Jensch: Der Kreis Pirna im Zweiten Weltkieg, S. 34
5 Hugo Jensch: Der Kreis Pirna im Zweiten Weltkieg, S. 34
6 Hugo Jensch: Der Kreis Pirna im Zweiten Weltkieg, S. 32–34; Hans Brenner, Wolfgang Heidrich, Klaus-Dieter Müller, Dietmar Wendler (Hrsg.): NS-Terror und Verfolgung in Sachsen. Von den frühen Konzentrtionslagern bis zu den Todesmärschen, S. 336ff.